Ralf Sygusch, Direktor des Regionalverbands Großraum Braunschweig © Regionalverband Großraum Braunschweig / Thomas Koschel

Zum aktuellen 9-Euro-Ticket drei Fragen an Ralf Sygusch, Direktor des Regionalverbands Großraum Braunschweig

ITS mobility: Herr Sygusch, als Verbandsdirektor sind Sie verantwortlich für das ÖPNV- und SPNV-Angebot im Großraum Braunschweig mit seinen rund 1,1 Mio. Einwohnern. Mit dem 9-Euro-Ticket zum 1. Juni 2022 für die nächsten drei Monate sollen die Nutzer des Personennahverkehrs entlastet werden. Finanzielle Entlastung für den Nutzer, kapazitätsmäßige Belastung für den Aufgabenträger und die Verkehrsunternehmern?

Ralf Sygusch: Wir freuen uns, dass die Bundesregierung dem ÖPNV in dieser Situation einen solchen Stellenwert verschafft hat. Es rückt den ÖPNV als wesentlichen Bestandteil der Mobilitätswende in den Mittelpunkt der Wahrnehmung in der gesamten Gesellschaft. Ich denke, nahezu jede und jeder hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten mit dem ÖPNV beschäftigt und gemerkt, was gut läuft, aber auch welche „Baustellen“ es in der Organisation und Finanzierung des ÖPNV in Deutschland noch gibt. Und das günstige Ticket hat hoffentlich auch einige Fahrgäste wieder für den ÖPNV gewonnen, die aufgrund der Coronapandemie auf andere Mobilitätsangebote umgestiegen sind.

Bislang gab es in der Region nur punktuell Engpässe. Aber natürlich war es eine Herausforderung für uns als Aufgabenträger gemeinsam mit den im Verkehrsverbund (VRB) maßgeblich beteiligten 19 Verkehrsunternehmen, das Ticket so kurzfristig über alle Vertriebskanäle einzuführen, gerade weil bis kurz vor dem Verkaufsstart noch nicht alle Rahmenbedingungen geklärt waren. Sicher war es für die Verkehrsunternehmen auch herausfordernd, dem hohen Fahrgastaufkommen und dem besonderen Fokus, den der ÖPNV bekommen hat, gerecht zu werden. Schließlich kämpfen auch sie seit geraumer Zeit mit Personalengpässen. Der Einsatz größerer oder weiterer Fahrzeuge war so kurzfristig kaum möglich, da generelle Lieferzeiten und Materialmangel in der Industrie auch hier spürbar sind.

Als wichtigen Erfolg bewerten nicht nur wir als Regionalverband, sondern auch andere Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen die Tatsache, dass es in so kurzer Zeit gelungen ist, den Kunden über alle tariflichen und räumlichen Grenzen hinweg mit dem 9 -Euro-Ticket ein leicht verständliches und überall nutzbares Angebot bieten zu können.

Ich denke, sowohl die Fahrgäste als auch die Akteure im Bereich des ÖPNV profitieren unterm Strich vom 9-Euro-Ticket. Alle lernen etwas während dieses riesigen Experiments.

ITS mobility: Wie wird nach Ihrer Einschätzung das 9-Euro-Ticket von den Nutzern angenommen und sollte das 9-Euro-Ticket dauerhaft fortgeführt werden?

Ralf Sygusch: Das Ticket wurde mit dem Ziel eingeführt, auch die Nutzer des ÖPNV kostenseitig zu entlasten. Insofern sind wir froh, dass unsere 16.000 Abo-Kunden sowie die Schulträger von diesem temporären Angebot profitieren. Auch im Freiverkauf ist die Nachfrage sehr hoch, muss aber auch im Lichte jetzt ausbleibender anderer Ticketverkäufe betrachtet werden. Wir sind gespannt auf das bundesweite Resümee und dessen Folgen. Eines dürfte aber klar geworden sein: Ein guter ÖPNV kostet wie auch andere Klimaschutzmaßnahmen viel Geld. Und ein guter ÖPNV erfordert neben attraktiven Preisen vor allem auch ein gutes Angebot und Qualität an den Zugangsstellen.

ITS mobility: Wie sehen Sie die Zukunft des ÖPNV unter dem Aspekt neuer Angebotsformen, wie dem Ride-Sharing oder den autonomen Fahrsystemen bei den Pkw? Wird das ein starker Wettbewerb für den klassischen Linienbus sein?

Ralf Sygusch: Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern in unserer Region ein vielfältiges Mobilitätsangebot unterbreiten. Der Regionalverband steht längst nicht nur für den klassischen ÖPNV ein, sondern konzentriert sich im Rahmen seiner Verantwortung für eine verkehrsträgerübergreifende Verkehrsplanung schon länger auf die gesamten Wegeketten. Regionalbusse und Bahnen werden auch in Zukunft Rückgrat des ÖPNV sein. In der Fläche werden Linien- oder Kleinbusse und vermehrt On-Demand-Verkehre ergänzt und Bike-, Roller- und Car-Sharing das Angebot komplettieren. Mit unserem Pilotprojekt „flexo“ testen wir derzeit unterschiedliche in den ÖPNV integrierte On-Demand-Angebote auf ihre Akzeptanz und Wirkung.

Autonomes Fahren sehen wir auch im ÖPNV als Chance, unsere Angebote wirtschaftlicher an den Kunden zu bringen. Ich erwarte, dass der ÖPNV zukünftig individualisierter angeboten wird und dadurch MIV (Anm. d. Red.: motorisierter Individualverkehr) und ÖPNV mehr zusammenwachsen. Als Regionalverband sehen wir die Mobilität der Zukunft in kooperativen und nicht in disruptiven Ansätzen. Unsere Region versteht sich als Mobilitätsregion. Daran sollten wir gemeinsam arbeiten.